Estacion Esperanza
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Rundbrief Mai 2021

Rundbrief Mai 2021

Wir freuen uns, in diesem Rundbrief über den Start im neuen Projekthaus Pachacutec zu berichten. Zudem führen wir für rund 35 Erwachsene, welche wir in drei Gruppen aufteilen, einen sechswöchigen Kurs zu folgender Thematik durch: «Nie mehr Pleite sein»  An den total sechs Abenden bringen wir den Slumbewohner näher, wie sie sinnvoll mit Geld umgehen können.  Die anstehenden Wahlen beschäftigen uns ebenfalls. Wird Peru allenfalls bald einen marxistisch-leninistischen Präsidenten haben? Die Wahlen werden am 6. Juni sein.

Verschärfte Not in den Slums

Unser Nachbar Fernando war 60 Jahre alt. Noch vor zwei Wochen lag er in seiner Hütte und kämpfte ums Überleben. Verwandte hatten Geld ausgeliehen und damit eine Sauerstoffflasche gemietet. Pro Tag betrug die Miete für die Flasche rund 80 CHF, was mehr als ein Drittel des Monatseinkommens vieler Menschen ausmacht. Die Familie hatte getrockneten Eukalyptus in der Hütte aufgehängt und angezündet. Das sollte die anderen Familienmitglieder vor dem Anstecken schützen.

Der Zustand von Fernando verschlechterte sich zu- nehmend. Aus Verzweiflung entschieden sie sich, ihn mit unserem Kleinbus ins Spital zu bringen. Dort starb Fernando nach zwei Tagen. Die staatlichen Kranken- häuser sind überfüllt und die Versorgung ist schlecht. Zudem werden die jüngeren Leute bevorzugt behan- delt. Zu Beginn der Pandemie gab es in ganz Peru gerade einmal 276 Betten auf Intensivstationen. Nach dem Tod musste sich die Familie auch noch für die Bestattungskosten verschulden. Da die Kirchen geschlossen waren, konnte kein Pfarrer gefunden werden. So wurde Carlos als Prediger eingeladen.

Diese fand zuhause statt, denn während der Coronazeit darf auf dem Friedhof keine Abdankung stattfinden. Carlos wird unterdessen immer öfter für Gebete oder wie in diesem Fall für eine Abdankung eingeladen. Er schützt sich jeweils so gut wie möglich. Es ist jedoch wichtig, dass wir in dieser Zeit den Slumbewohnern zur Seite stehen können. Nach der kleinen Versammlung wurde der Sarg durch den Slum getragen. Alle männ- lichen Angehörigen trugen ihn abwechselnd. Dies ist eine wichtige Tradition.

Vor einigen Wochen fragten immer mehr Nachbarn, ob Estación Esperanza am Sonntag jeweils einen kleinen Gottesdienst durch- führen könnte. Das Bedürfnis, neben unseren kurzen Dach-Inputs noch einen Ort zu haben, um Hoffnung zu tanken, war deutlich ge- wachsen. Als Team entschieden wir uns, jeweils um 10 Uhr unsere Türen zu öffnen. Nun dürfen die interessierten Nachbarn mit uns am Sonntag Gottesdienst feiern, wobei die Verantwortung dafür bei uns im Team rotiert. Obgleich wir dafür keine Werbung machen, nehmen verschiedenste Nachbarn regelmässig daran teil. Bei etlichen handelt es sich um Familien, die sich zum Teil im kriminellen Milieu bewegen oder bewegt haben. Zum Teil sind es Leute, die wir seit bald sieben Jahren vergeblich einluden, uns in die naheliegende Kirchgemeinde zu begleiten. Die Kirche allerdings, mit der wir bis zur Coronazeit zusammengearbeitet haben, gibt es nicht mehr. Die venezolanische Pfarrerfamilie ist kürzlich zu Verwandten in die USA ausge-wandert.

Peru bald mit marxistisch-leninistischem Präsidenten?

Das Resultat der Wahlen im April war für die Limeños (Leute aus Lima) eine grosse Überraschung. In der Hauptstadt rechnete niemand damit, dass der kaum bekannte Lehrer Pedro Castillo 19% der Stimmen holen würde. Am 6. Juni 21 wird in einer Stichwahl die Entscheidung über den nächsten Präsi- denten des Landes getroffen. Im Rennen ist noch Keiko, Tochter des Ex-Präsidenten Fujimori. Sie repräsentiert für die Mehrheit in Peru «Korruption». Somit stehen die Chancen für Pedro Castillo erschreckend gut, denn die Landbevölkerung erhofft sich eine Veränder- ung nach all den korrupten Ex-Präsidenten.

Wird Peru ein zweites Venezuela? Castillo informiert schon jetzt ganz offen über seine politische und wirtschaftliche Agenda. Er will die Verfassung ändern, das Verfassungsgericht abschaffen, die Medien regulieren sowie die Rohstoffförderung und Teile der Infrastruktur verstaatlichen.


Aus Angst vor dieser Entwicklung haben Verwandte von Carlos ihren Kaufvertrag für eine Zweitwohnung gekündigt. Grund: Zweitwohnungen könnten einem weggenom- men werden. Die peruanische Währung verliert zurzeit an Wert. Ich wollte einen Termin im Migrationsamt Lima vereinbaren. Normalerweise bekommt man innert zwei Wochen einen Termin. Nun hat es im 2021 keine freien Termine mehr. Viele Peruaner lassen sich einen Pass ausstellen für den Fall, dass sie aus dem Land reisen müssen. Zum Glück haben wir im Norden von Peru, in Chimbote, einen Termin im Migrationsamt erhalten. Das sind 6-7 Stunden Fahrt mit dem Auto. Was erwartet uns wohl noch? Estación Esperanza ist zum Glück eine Hilfsorga- nisation, welche voraussichtlich auch weiter- hin ohne grosse Einschränkungen arbeiten kann. Soziale Projekte werden üblich auch in kommunistischen Regimen geschätzt. Schwie- riger wäre es, wären wir als Kirche oder Missionswerk angemeldet.

Start im neuen Projekthaus

Wir haben am neuen Standort gestartet und zwei Familien unseres Teams sind dort eingezogen. Das Interesse der benachbarten Quartiere ist gross. Zweimal pro Woche führen wir nun in deren Sportfeldern Uni- hockey durch. Auch weitere bewährte Programme kommen hier zum Einsatz und wir lernen allmählich die Nachbarn kennen. Kürzlich begannen wir mit «Lektüre im Park», um die Freude am Lesen zu fördern. Die Kinder nehmen vom Bücherregal Bücher, ganz nach Belieben. Manchmal erzählen wir auch eine Geschichte oder veranstalten einen kleinen Wettbewerb, der mit der Lektüre zu tun hat. Elizabeth, unsere neue Mitarbeiterin, hat zudem mit zwei Schneider-Workshops begonnen.

Pro Gruppe konnten sich sechs Frauen einschreiben, die nun zweimal pro Woche Unterricht haben. Unser Ziel ist es, dass wir für diese professionell geleiteten Kurse vom staatlichen Schuldepartment die Bewilligung für Zertifikate erhalten. Ein solches Zertifikat hilft bei der Arbeitssuche.

Neue Projekthaus
Nachbarsjunge möchte Nähen lernen
Lektüre im Park

“Nie mehr Pleite sein“

Gemäss Schätzungen sind 80% der Bevöl- kerung in Lima (11 Millionen) verschuldet. In unserer Nachbarschaft schulden wohl alle Leute entweder der Bank, Nachbarn, dem Slum-Laden oder illegalen Geldleihern einen gewissen Betrag. Für alle möglichen Anschaf- fungen nehmen die Leute Geld auf, obgleich in Peru die Zinsen so hoch sind, dass der Kühlschrank, Fernseher oder Laptop schlies- slich doppelt so teuer kommt. Weil Sparen kein Thema ist, fehlt dann das Geld in Krankheitssituationen oder anderen Schwie- rigkeiten. Oft möchten Nachbarn auch bei uns Geld ausleihen.

Wir sind da sehr zurückhaltend. Einst nahm jemand nicht mehr an unseren Programmen teil, weil wir auf eine Rückzahlung bestanden. Wir hoffen, mit unserer Haltung eine gewisse Änderung dieser “Bettel”-Mentalität zu bewirken. Es gibt in diesem Zusammenhang ein sehr interes- santes Buch: When helping hurts (= Wenn Helfen schadet) von Steve Corbett und Brian Fikkert.
Indicamino (Schweizer Mission) hat zu dieser Thematik sehr gutes Material mit dem Titel «Nie mehr Pleite sein». Ich selber durfte diesen Kurs selbst schon an einigen Orten von Lima durchführen – im Auftrag von Indica- mino. Nun führen wir diese Schulung zum ersten Mal in Estación Esperanza durch. Für Eltern, deren Kinder von uns Stipendien beziehen oder sonst schulisch unterstützt werden, ist die Teilnahme obligatorisch.

Gottesdienst
Kurs “Nie mehr pleite sein”

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